Kolumne

Schönheitsideal: fremdbestimmt oder individuell?

Der französische Schriftsteller Guy de Maupassant bezeichnete den Eiffelturm zwar als „riesiges anmutloses Skelett“, ging aber häufig dort mittagessen. Warum? „Weil das der einzige Ort in Paris ist, von dem aus man den Eiffelturm nicht sehen kann“.

Ähnlich pragmatisch scheint das Verhältnis der meisten Männer zu ihrem Körper zu sein. Da sie ja sozusagen immer von drinnen nach draußen schauen, genießen sie lieber die Aussicht, anstatt sich über die optischen Vorzüge und Mängel des eigenen Körpers Gedanken zu machen.

Nicht so bei den Frauen. Der eigene Körper muss oft sehr viel höheren Ansprüchen gerecht werden als der der Mitmenschen. Jede Unregelmäßigkeit wird kritisch wahrgenommen und analysiert.

Doch wer bestimmt eigentlich, was schön ist?

Universelle Kriterien für Schönheit sind sehr schwierig zu finden, und allgemeingültig scheint nur die Symmetrie als Merkmal für Schönheit zu sein. Dennoch gelten in jeder Gesellschaft bestimmte Merkmale als schön.

Diese Definition von Schönheit ist aber nicht naturgegeben, sondern wird von den Medien, der Werbung und der Industrie ganz bewusst vorgegeben und geprägt. Jedes Werbeplakat, von dem uns ein elfengleiches schlankes Wesen mit makellosem Teint anlächelt, festigt unser Idealbild eines weiblichen Körpers. Gelingt es der Industrie, in uns den Wunsch zu wecken, diesem Idealbild zu entsprechen, so hat sie uns als Konsumenten fest im Griff. Wir werden zum idealen Absatzmarkt für Cremes, Tinkturen und Pillen, ohne dadurch dem Idealbild näher zu kommen. Das ist nämlich bewusst so gewählt, dass ihm möglichst wenige Frauen entsprechen. Denn je größer der Abstand zum Idealbild, desto größer ist die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und demnach auch die Kaufbereitschaft. Von diesen Mechanismen sind zunehmend auch Männer betroffen.

Genügte es früher noch, getreu dem Motto Do not read beauty magazines, they will only make you feel ugly“ gewisse Medien zu meiden oder mit gesunder Skepsis zu betrachten, so ist das heute nicht mehr möglich. Viele Internetuser haben das von den Medien diktierte Idealbild so sehr verinnerlicht, dass sie es auf sozialen Netzwerken wie Instagram verbreiten. Bilder von Mädchen mit gefährlich dünnen Körpern bekommen mit den Hashtags „Bikini-Bridge“ oder  „Irgendwas-Gap“ viele Likes und verstärken das von den Medien vorgegebene Idealbild.

Der Versuch, dem Idealbild ähnlicher zu werden, kostet nicht nur Zeit und Geld, sondern verursacht zum Teil auch gesundheitliche Probleme. Ständiges Laufen in zu schmalen, hochhackigen Schuhen kann Haltungsprobleme verursachen, dauerndes Baucheinziehen behindert die Atmung und die Verdauung. Welche gravierenden Folgen übermäßiges Abnehmen haben kann, ist euch bestimmt bekannt. Der einzige Profiteur dieses Teufelskreises ist die Pharmaindustrie.

Macht man sich all diese Wirkungsweisen erstmal bewusst, so ist es leicht, sich von einem fremdbestimmten Schönheitsideal abzuwenden und stattdessen Schönheit subjektiv zu definieren.

Ich selbst zum Beispiel entspreche bestimmt nicht dem gängigen Schönheitsideal. Das stört mich aber überhaupt nicht. Mit Leuten, die mich mit 90-60-90-Maßen lieber hätten, verschwende ich meine Zeit nicht (mehr). Ich mag meinen Körper, weil ich mit ihm laufen, springen, atmen, lachen, riechen, schmecken, fühlen, hören und vieles mehr kann. Welche Maße, Form und Oberflächenbeschaffenheit dabei die dazugehörigen Beine haben, ist meiner Meinung nach schlicht irrelevant.

Ich lasse mir nicht mehr vorschreiben, welche Kriterien Schönheit definieren. Mein Schönheitsideal ist die Vielfalt: Viele Pfunde sind schön, wenige oder mittelviele ebenso, dicke oder dünne Haare, faltige oder glatte Haut, lange oder kurze Arme sind schön! Denn eines ist klar:

Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet. (Christian Morgenstern)

 

 

 

4 Kommentare

  • Viktoria

    Hallo liebe Amelie,
    ich finde es toll, dass du dich mit dem Thema beschäftigst. Auch die Tatsache, dass du Schönheit in der Vielfalt siehst, finde wunderbar: Genau das brauchen wir! Ich stimme dir in den meisten Punkten zu. An zwei Stellen möchte ich dir jedoch widersprechen.
    1) “Genügte es früher noch, getreu dem Motto „Do not read beauty magazines, they will only make you feel ugly“ gewisse Medien zu meiden oder mit gesunder Skepsis zu betrachten, so ist das heute nicht mehr möglich.”
    Ich finde, es ist schwieriger geworden, aber es ist durchaus möglich! Man sollte lediglich sehr gut auppassen, wem man auf FB oder auf Instagram folgt. Es gibt genug Menschen, die sich für body positivity einsetzen. So kann man im Internet einen pody-positivity-bubble erschaffen, der deinen Überzeugungen entspricht und dich auch täglich inspiriert, anstatt dich runterzuziehen. Und natürlich sollte man keine Klatschmagazine kaufen, das ist ja selbstverständlich.
    2) “Macht man sich all diese Wirkungsweisen erstmal bewusst, so ist es leicht, sich von einem fremdbestimmten Schönheitsideal abzuwenden und stattdessen Schönheit subjektiv zu definieren.”
    Hm, ich befürchte, dass dies in den meisten Fällen nicht ausreichen wird. Solange man selbst unter diesen Probleme nicht gelitten hat, wird das etwas sehr flüchtiges und unbegreifliches bleiben. Ich glaube, es ist viel wichtiger, sich von den ‘perfect-body-Bildern’ bewusst zu distanzieren, sich intensiv mit der unterdückenden Schönheitsindustrie zu beschäftigen, und den eigenen Fokus weg vom Aussehen hin zu Körperfunktionalität zu verschieben.
    LG und viel Erfolg 🙂

    • Amely

      Liebe Viktoria, es tut mir echt leid, dass ich erst so spät auf deinen interessanten Kommentar reagiere!!! In der Zeit um Weihnachten war ich voll im Offline-Modus und anschließend ist es mir irgendwie durchgerutscht.
      Zu deinen Widersprüchen (ich liebe Widersprüche, da sie einen Perspektivwechsel ermöglichen!): Du hast recht, dass man sich auch online mit Menschen umgeben kann, die ein individuelles Schönheitsideal verkörpern und verfechten. Sofern man sich der Problematik bewusst ist. Ich glaube aber, dass Jugendliche dieses Problembewusstsein noch gar nicht haben können und sich dann dem vorgegebenen Schönheitsideal nicht entziehen können. Vor kurzem habe ich gelesen, dass mittlerweile sogar schon Figuren aus Kinderbüchern wie zum Beispiel Biene Maya diesem Schönheitsideal angepasst sprich verschlankt werden. Das ist meiner Meinung nach sehr bedenklich, denn so wird schon Kindern ein uniformes statt vielfältiges Körperbild vermittelt. Ich glaube, dass Eltern, Schule und Medien dazu einen Kontrapunkt setzen müssen!
      Meine Eltern z.B. haben uns Kindern vermittelt, an die eigene Stärke zu glauben und sich unabhängig von der Bewertung anderer zu machen, nicht nur in puncto Aussehen, sondern auch in Bezug auf Leistung, Verhalten etc. Das wirkt bis heute wie ein Schutzschild auf mich, sodass diese ganzen “Vorbilder” und Verheißungen der Schönheitsindustrie an mir abperlen wie Wasser auf einem Regenmantel. Aber viele haben nicht das Glück, so ein “Schutzschild” mitbekommen zu haben. Deswegen ist es wichtig, dass möglichst viele Menschen sich für Body-Positivity einsetzen, wie du es zum Beispiel mit deinem interessanten Blog tust.
      Übrigens muss ich dir und mir selbst auch nochmal widersprechen: Du schreibst, man soll den Fokus weg vom Aussehen hin zur Körperfunktialität richten (und so was ähnliches hab ich ja auch geschrieben). Ich denke, selbst wenn der Körper wegen Krankheit oder anderem nicht so funktioniert, wie man es gern hätte, ist es wichtig, ein positives Körperbild zu haben. In einer Leistungsgesellschaft, in der wir darauf geeicht sind, zu funktionieren, ist das eine echte Herausforderung! Meine Idee ist, dass wir ganz grundsätzlich weg von der Bewertung hin zu einer Wahrnehmung, die nicht alles sofort be- und verurteilt, gelangen sollten. Denn ein Akzeptieren der Tatsachen gibt mehr Kraft und Energie, diese positiv zu verändern:) Klingt jetzt etwas paradox…. Soweit meine unvollkommenen Gedankgengänge zu deinem Kommentar:)
      Vielen Dank für den interessanten Austausch!
      Liebe Grüße,
      Amely

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.